Samstag, 24. Januar 2009
 
Schuss nach hinten PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Harald Neuber   
Freitag, 10. August 2007

Eine fragwürdige Meldung im Entführungsfall der kolumbianischen Grün-Politikerin Ingrid Betancourt sollte Venezuelas Präsident Chávez diskreditieren. Doch das Manöver ging nicht auf.


Wo ist Ingrid Betancourt? Seit fünf Jahren befindet sich die französisch-kolumbianische Politikerin in der Hand der »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« (FARC), soviel ist bekannt. Umso überraschender war die Meldung der venezolanischen Journalistin Patricia Poleo. Die bekannte Chávez-Gegnerin hatte Mitte der Woche in der kolumbianischen Presse behauptet, Betancourt könnte in Kürze in Venezuela auf freien Fuß gesetzt werden. Inzwischen wurde diese Version von hochrangigen Politikern beider Staaten dementiert. Was bleibt, ist ein Lehrstück in Sachen politischer Propaganda.

Nach Poleos Angaben sei die Grünen-Politikerin Betancourt von 300 FARC-Guerilleros nach Venezuela eskortiert worden. »Militärischen Quellen« zufolge werde sie im Wissen der Regierung von Hugo Chávez in Caracas auf einer Finca im venezolanischen Bundesstaat Apure festgehalten, weil der Staatschef ihre Freilassung in Venezuela verkünden wolle. Mit dem Artikel ging es Poleo aber kaum um das Schicksal Betancourts. Ihr Fall sollte offenbar lediglich benutzt werden, um die Chávez vorgeworfenen Kontakte zur kolumbianischen Guerilla zu »belegen«. Doch Poleo, die das regierungsfeindliche Blatt El Nuevo País von ihrem Vater Rafael Poleo übernommen hat, verkalkulierte sich gewaltig. Selbst Kolumbiens Außenminister Fernando Araújo nahm kurz nach der Veröffentlichung von Poleos Spekulationen Abstand. Seine Regierung könne die Berichte in keinem Punkt bestätigen, sagte der Politiker, um Chávez eine »durchweg positive Haltung« zum innerkolumbianischen Konflikt zu bescheinigen. Auch könne Bogotá nicht bestätigen, dass die Guerilla in Venezuela eine Finca besitze.

Yolanda Pulencio, die Mutter Betancourts, äußerte indes sogar ihre »Hoffnung«, dass sich ihre Tochter in Venezuela aufhalte. Dort werde sie zumindest nicht durch Militäroperationen in Gefahr gebracht. Vor wenigen Wochen erst waren in Kolumbien bei einem Angriff auf ein Lager der FARC-Guerilla mehrere Regionalpolitiker getötet worden, die sich seit Jahren in der Hand der Organisation befunden hatten. Der rechtskonservative Präsident des Landes, Álvaro Uribe Vélez, behält sich das Recht auf solche bewaffneten Aktionen ausdrücklich und gegen den Widerstand der Angehörigen der Gefangenen vor.

Ungehalten reagierte Venezuelas Präsident Chávez auf die Behauptungen seiner Kritikerin Poleo. Die Darstellung der Journalistin sei nichts als eine »plumpe und schamlose Lüge«, sagte er während eines Staatsbesuches in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. »Damit soll glauben gemacht werden, dass wir mit der kolumbianischen Guerilla einig sind«, sagte Chávez vor internationalen Pressevertretern: »Und weil diese Nachricht Venezuela schadet, ist sie natürlich eilends verbreitet worden.« Die Geschichte sei einmal mehr ein Beleg dafür, dass einige Journalisten »jegliche ethischen Maßstäbe verloren« hätten.

Unabhängig von dem Konflikt um die fragwürdige Berichterstattung der venezolanischen Regierungsgegnerin gerät der kolumbianische Präsident Uribe mit seiner harten Linie gegen die Guerilla weiter in Bedrängnis. Nicht nur die Familie Betancourts, sondern auch Angehörige weiterer Gefangener der Guerilla drängen auf einen humanitären Gefangenenaustausch. Die FARC wollen so viele ihrer rund 500 inhaftierten Genossen wie möglich in Freiheit wissen, vor allem aber drängen sie auf die Rückkehr zweier in den USA inhaftierter Kommandeure. Uribe lehnt diese Forderungen rundweg ab. Statt dessen bot er der größten Guerillagruppe des Landes in der vergangenen Woche an, für 90 Tage eine »Verhandlungszone« einzurichten. Dies sei jedoch nur möglich, wenn die Guerilla zuvor alle ihrer 45 Gefangenen freiließe. FARC-Sprecher Reyes bezeichnete das Angebot als »Nebelvorhang«. Uribe versuche weiter, ein humanitäres Abkommen zu verhindern. Die Guerilla hatte auf die Demilitarisierung einer 800 Quadratkilometer großen Zone im Süden des Landes bestanden, in der Verhandlungen stattfinden könnten. Der Präsident lehnt einen Rückzug des Militärs jedoch strikt ab.

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